Dienstag, 9. Dezember 2014

Die Idee und ein bisschen Input

Einen blog über ein Jahr muss man abschließen. Ich habe mir schon damals, getränkt von Anti-rassimus- und Sensibilisierungstraining gedanken über meinen Blog und meine Art der Berichtserstattung gedanken gemacht. Viele meiner Freiwilligen haben am Anfang ihres Blogs ein: "Nehmt nicht alles was ich sage als Wahrheit hin"-Text geschrieben. 
Das ist eine ganz wichtige Sache: ich erzähle etwas, und dies wird als Fakt, als Gegebenes angesehen, ich habe ja schließlich ein Jahr dort gewohnt, ein Jahr "die Kultur" erfahren, ich bin ein Spezialist in Kamerunologie. Das ist aber gründlich falsch, und dabei erwische ich mich selber immer wieder: 

Menschen verallgemeinern?

Menschen werden generalisiert, "die Kameruner sind so und so", alltägliche Dinge werden extremisiert, "die leben Alle in Blechhütten", Armut wird romantiesiert, "obwohl die kaum Geld haben sind Alle glücklich", Vorurteile werden geschürt, "die trinken den ganzen Tag Bier, die Alkoholiker", ganz Afrika wird in einen Sack gepackt, "Ich war in Afrika".

Das ganze kommt mir leider im Alltag immer wieder vor, ich unterhalte mich, erzähle von Kamerun, als Antwort bekomme ich ein "Und wie ist dies und das in Afrika?"(das selbe passiert auch mit den Niederlanden und Holland) zurück. Manche Fragen mich: "Wie hast du das Überlebt, da ist doch Überall Ebola und Malaria!", oder "Da sind doch alle Kinder unterernährt, oder?."

Und leider kann ich das keinem böse nehmen, genau mit diesen Bildern, diesen Gedanken bin ich auch nach Kamerun gefahren, hatte mein Mückenschutz und Malariamittel in Griffweite, wollte kein Essen von der Straße essen, Nachts nicht raus, aufpassen, weil doch eh alle nur mein Geld wollen, geschürt von Medienberichten, Spendenaufrufen und dem allgemeinen Bild über jedes afrikanische Land. Und da komme auch ich ins Spiel: ich erzähle meine Geschichte, sie mag an einigen Punkten dem Medienbild widersprechen, an anderen dies aber auch kräftigen, richtig sind aber wieder keine von beiden, ich kann nur aus meinem Standpunkt erzählen, meine kleine Welt, ungefähr in einem 20m Radius um mich herum. Ich erzähle meine Geschichten mit Vorsicht, kann aber nicht garantieren das alles was ich erzähle richtig ist, das ich das Geschehene richtig interpretiert habe, das die Menschen über die ich etwas erzähle damit einverstanden sind, wie ich es erzähle.

Die Gefahr einer einzelnen Geschichte
Wer ein bisschen Zeit hat, dem empfehle ich das folgende Video: Eine Person erzählt über die "Danger of a single Story" - die Gefahren einer einzelnen Geschichte, meine zum Beispiel, und welche Auswirkungen das haben kann:

Einfach bei subtitle auf Deutsch stellen, ca. 18min

Das Fest des Huhnes
Darüber hinaus gibt es eine super Dokumentation:"Das Fest des Huhns". Eine Gemeinde in der ländlichen Schweiz/Österreich wird aufs Korn genommen, völlig falsch dargestellt, einfach mal durch falsche Interpretationen völlig verrückt aber auf einer witzigen Weiße dargestellt. Stellt euch vor, das würden sie in asiatischen, afrikanischen, amerikanischen Grundschulen zeigen, niemand würde die "Europäer" mehr ernst nehmen.

Und das ist leider schon oft mit einseitigen Dokumentationen über Afrika geschehen.
Eine satirische Dokumentation, einfach super! 55min

This is Africa, eine "afrikanische Kultur"?

Gerade auf Afrika reagiere ich zum Beispiel sensibel: Zwischen Nord-Afrika, Ägypten, Syrien, Marokko, Ostafrika, Tanzania, Uganda, Ruanda, Südafrika und Westafrika, Kamerun, Nigeria, Ghana, liegen solche riesiegen Unterschiede, schließlich ist der Kontinent Afrika ja auch ungefähr viermal so groß wie Europa, aber trotzdem werden alle Menschen, Völker und Gemeinden da in dieses nichtssagende Wort gefasst.

Neben chinesisch, deutsche, französische, italienische Restaurants gibt es auch "afrikanische Restaurants, afrikanische Musik, afrikanischen Tanz, die afrikanische Kultur". Dabei sind schon Franzosen zu Deutschen, Polen zu Portugiesen, Russen zu Italiniern unterschiedlich, wir wollen nicht mit jedem verglichen werden, über den afrikanischen Kontinent wird das aber täglich getan.
Ein Punkt zu dem Thema ist das "Othering", man versucht Personen anders zu machen. Man spricht von "die Anderen", denn alles was nicht so ist, wie man es gewohnt ist, ist anders, und leider auch meistens negativ, weil es ja nicht so gemacht wurde, wie es besser ist. Einfache Sätze wie "Die sind eben anders" hören sich zwar niedlich an, können die gemeinte Person aber sehr kränken. Das mag sich übertrieben anhören, hört man soetwas als zum Beispiel schwarze Person andauern, ein leben Lang, von Kindergarten bis zum Abitur, dann frisst es einen auf.

Der Rassist in uns 
Dazu empfehle ich das nächste Video: "Der Rassist in uns". Ein Video bei dem die Diskriminierung mal umgedreht wird, Menschen mit blauen Augen hören nun, was sie nicht können und was sie falsch machen, die "Braunen" entscheiden. Leider etwas übertrieben, aber wenn man sich darauf einlässt und versucht sich reinzufühlen, kann man schnell fühlen, was dort und auch im Alltag eigentlich so falsch läuft.

Langes Video, lohnt sich aber. Dauert 1std 15min, gute Doku für den guten Schlaf.

An wen Spende ich heute?!?
Und zum Schluss noch ein Thema, das mir persönlich am Herzen liegt: 

Leztens als ich einen riesen Schwung Dokumente für meinen Bafög-Antrag verschicken wollte, hatte ich, dank der ganzen Schenkwütigen Omas vor mir, genug Zeit einen Spendenaufruf der Unicef wieder und wieder in dem Werbefernseher der Postfiliale anzusehen. Der Clip ging über ungefähr 30 Sekunden und hatte ungefähr diese Handlung:
Hilfe, hilfe, afrikanisches Kind, mit tränenden, weiten, welpenähnlichen Äuglein, dreckig im Gesicht, hilfe es verhungert. 
Nächste Szene: Ein neugeborenes Baby, verhungert wahrscheinlich auch, Max weiß es nicht.
Nächste Szene: Ein anderes Kind muss diese Nusspäckchen essen (beinhalten genug Energie für einen Tag und ein paar Nährstoffe wohl auch).
Nächste Szene: Kind hat brav aufgegessen und spielt auf einem Haufen Mais vor einem Haus, gebaut aus ähnlichem roten Lehm, wie die Häuser in Bali, Essen genug für gefühlt achtzig Familien, dank Nusspäckchen ist es jetzt aber glücklich und spielt im Mais. 
Danke Unicef, du hast den Hunger besiegt.
Zugegebenermaßen, ich habe das ganze etwas ins Lächerliche gezogen, der Spendenaufruf war etwas ernster und etwas mehr auf des Mitgefühl einer jeden Oma und eines jeden Opas bedacht, ich soll ja auch etwas spenden. 
Zu dem konkreten Fall: Ich musste in meinem Jahr kein Kind sehen, was auf solche Nusspäckchen angewesen war, jedes Kind, jeder Opa und jede Oma hatte etwas zu Essen, jemanden in der Nachbarschaft hungern zu lassen, das ging gar nicht.

Wenn mich jemand fragt, was denn da so fehlt, was man denn spenden könnte dann erzähle ich meiner Meinung nach ein schönes Beispiel: Ich gebe einem Kind ein Lutscher, einen Fussball, ein Teddybär, eine Puppe eben etwas, worüber sich jedes Kind freut. Nach einiger Zeit ist der Lutscher aufgelutscht, der Fussball hat ein Loch, der Teddybär ist kaputt, die Puppe sieht nicht mehr gut aus. Das Kind wird traurig sein, weinen, erwartet nun vom nächsten netten Max auch ein Geschenk, irgendetwas besseres.
So geht es mit fast jeder Spende: Ich investiere, die laufenden Kosten sind aber zu hoch, die Reperatur ist zu teuer oder es funktioniert einfach nicht, es ist nicht nachhaltig. Danach steht der bespendete da, ihm fehlt etwas, sein Lebenstandard rutscht wieder nach unten. Das Komische: es gibt in Bali Lutscher, Fussbälle, Teddybären, Puppen, Schubkarren, Autos, Brunnen, Schulen, Spielsachen, Malsachen, es gibt dort Alles, was ich zum überleben brauche und noch viel mehr, um Spaß zu haben, um eine Existenz zu gründen, um wirklich zu leben.
Und diese Nusspäckchen schaffen Abhängigkeiten, ein Kind müsste schließlich nicht nur eines Essen und lebt dann für immer, jeden Tag ein Päckchen, jeden Tag ein Lutscher, jeden Tag ein Teddybär, jeden Tag etwas, Unabhängigkeit ist etwas anderes. Wird die Spende eingestellt, hat das sogar sehr viel schlimmere Auswirkungen. Und so läuft das leider mit fast jeder Spende die getätigt wird. Es unterstützt fast nie. 
Aber spenden sind doch nicht immer schlecht? Ich kann mir vorstellen das es in Krisensituationen hilfreich sein kann in kurzer Zeit viele Spenden zu mobilisieren, eine Dürre oder eine Wirtschaftskrise kann viele Menschen betreffen. Ansonsten kann ich mir noch vorstellen, das nachhaltige Spenden gegen Unrecht, für Gleichberechtigung, gegen systematische Fehler wie Korruption etc. sinnvoll sein können. 
Darum auch gleich die Bitte: wenn ihr Spenden wollt, spendet sinnvoll, Unabhängigkeitsfördern, Projektbezogen, an Menschen die ihr kennt. Anonyme Massenspenden bringen in der Regel keinem etwas, außer meinem Gewissen.

Und dann noch zum Abschluss:
This is not Cameroon 

This is my Cameroon
This is me

Alle Bilder die ihr gesehen habt, alle Texte die ihr gelesen habt sind Texte aus meinen Erinnerungen, Gefühle, die ich so gefühlt habe, Interpretationen, von denen ich dachte, sie wären richtig. Das können sie, müssen sie aber nicht sein. Ich bin kein "Spezialist" alles was ich gesehen habe, war mein Bali und ein paar Touristenorte, die ich Besucht habe, ich kenne nicht die Kameruner, ich kenne Gregory, Grace, Ma Comfort, Ernestine und sie sind alle verschiedene liebenswerte Menschen, und auf keinem Fall in einer Kaste zu schieben.
Hinterfragt Meinungen, Interpretationen, Berichten, wie sie dargestellt werden, wer sie darstellt und welchen Zweck sie verfolgen. Hinterfragt Medien, Zeitungen, Dokumentationen, Nachrichten, oft sind sie nur das, was die Menschen hören wollen. Und zum Abschluss: Macht euch euer eigenes Bild, sprecht mit Menschen, fragt sie, lacht zusammen, teilt eure Erfahrungen. Wir sind doch alle ähnlicher als wir es vermuten.

Und damit auch zum Abschluss dieses Blogs, eine Menge Fotos, 32 Artikel, 11000 Besuche. Es war schön, verdammt schön. Hoffentlich bald wieder.

Nchicka njamo, Bati vomwi
(oder so ähnlich ;) )
Danke, danke an alle und für alles, ganz besonders Grace, Gregory, Laura, Lea, D., Ma Comfort und alle meinen lieben Kinderchen!
Danke.















Wieder da, ein kurzer Text über mein "Danach" und Gedanken über mein "zu Hause"

Das große Danach

Um die Bewerbungen für ein Studium hatte ich mich ja in Kamerun schon gekümmert, mein Favorit war die Universität Enschede und genau von dort, vom Raum NT115 in dem Horsttoren (= Horstturm) schreibe ich gerade diesen klitzekleinen Text. 

Was ist also zwischen meiner Abreise und jetzt so passiert? Ich fange einfach bei der Abreise an:
Von meinen Freunden und Nachbarn wurde mir versichert, "du bist hier immer zu Hause, wenn du uns mal besuchen kommst, dann darfst du bei uns wohnen." Gerade unsere Abschiedsparty war herzlichst schön, wir saßen zusammen mit Kindern, Erwachsenen und Freunden, eigentlich waren alle da, die meisten sprachen schon dort aus, uns vermissen zu werden, es werde sich etwas ändern, wenn wir weg sind.

Grace und ich ließen es uns nochmal am Strand in Limbe gut gehen, wir hatten leider nicht das beste Wetter, es regnete viel und stark, schön war es trotzdem, vorallem schön schwül. Die letzten Tage vergingen wahrlich wie im Fluge, die einzigen Bilder die ich zu dem jetztigen Zeitpunkt noch im Kopf habe sind, wie wir zu dritt in einer unglaublich protzigen Villa des Bruders von Gregory in einem Bett geschlafen haben (hätten wir mal das Mükennetz runtergelassen) und am nächsten Tag, wie ich dann im Flugzeug sitze: über Äthiopien nach Hause. Ich weiß noch wie komisch mir das Wort "Hause" vorkam, es hatte sich doch wohl etwas verändert, kenne ich mich noch aus in meiner Stadt? Wie sehen meine Leute aus, das Haus, habe ich mich verändert?
Gut, zugegebenermaßen habe ich meine Familie ja zweimal gesehen, Fritz, Jana und Elli, und dann noch Erika und Hendrik, aber meine Freunde? Mit denen hatte ich kaum Kontakt.

Und Zeit darüber nachzudenken hatte ich genug: Wir verpassten unseren Anschlussflug in Äthiopien. Gerade als wir landeten, flog das nächste los: und zwar unseres.

Eine Nacht in Äthiopien? Was tun wir? Wo schlafen wir? Wann fliegen wir? 
Nach ein bisschen Druck am Schalter: Super, schlafen im 4-Sterne Hotel, mit essen und allem drum und dran, da komm ich doch ganz gerne einen Tag später. Nur wusste ja keiner etwas von meinem zu spät kommen: Wolle angerufen, der war auch um 2 Uhr noch wach, und ihm erzählt, das ich etwas später komme, was ihm eigentlich ganz gut passte, wenn man bedenkt, das er hätt um 6 Uhr losgemusst um mich pünktlich in Frankfurt abzuholen.
Wieso mich Wolle abholte, ich wollte meine Mutter überraschen, kam also zwei Tage früher als sie dachte an, um sie mal schön zu Überraschen. Und das ist mir auch ganz gut gelungen, Erika war gerade dabei Hausarbeiten zu machen, und da stand ich: mit meinem Reiserucksack, buntem Hemd und ein bisschen Müde, der Max war wieder "zu Hause"! (Ich schwöre ich habe eine kleine Träne auf den Wangen meiner Mutter gesehen ;) )

Danach die Tage gingen noch schneller ich wollte in vier Wochen anfangen zu studieren, ich hatte einen straffen Plan: Wohnung finden, zu einem Geburtstag, eine Woche arbeiten, meine Freunde gaben mir zum wieder "zu Hause" sein ein Ticket für das Dockville-Festival über 5 Tage, meine Leute besuchen.
Gerade das mit der Wohnung gestaltete sich als schwierig in Enschede hagelte es eine Absage nach der anderen:
"Wir suchen eigentlich nach weiblichen Mitbewohnern...","Wir suchen eigentlich nach Niederländern...","Eigentlich suchen wir gar nicht mehr..."
Ich war aber eben am Suchen, und zwar nach einer guten und günstigen Wohnung! Als ich dann nach dem Tip von Tini meine Suche nach Deutschland ausgeweitet hatte: innerhalb von einem Tag fand ich ein Zimmer: 16m², in der Innenstadt Gronaus und zwei Minuten vom Bahnhof, super für die erste Zeit, wenn ich dann irgendwann eine Wohnung in Enschede finde, kann ich ja immer noch umziehen.

Darauf dann noch eine Woche Sommerferienspiele, zusammen mit dem Jan ein Zeltlager-Ersatz-Programm aufgestellt, eine Rallye durch Vellmar mit Würstchen und Stockbrot als Finale. Dann umziehen, ins nächste "zu Hause", anfangen zu studieren, die Universität, mein zweites "zu Hause".

Irgendwie kam ich da schon etwas durcheinander, wo wohnte ich denn nun? Bei meinem alten "zu Hause" bin ich ja schon vor einem Jahr schon ausgezogen, mein altes Zimmer wird jetzt liebevoll Gästezimmer genannt und ich habe kein Privilig mehr in meinem alten Bett zu schlafen (wenn Fritz und Jana zu besuch kommen, bekommen sie mein Bett...) gelebt und gewohnt hatte ich in Bali, das war jetzt aber vorbei, und meine neue Wohnung war eben noch neu und unbekannt.

Und selbst jetzt, im Unistress, täglich von 8.45 bis 17.30 Programm, danach noch Hausaufgaben, etwas vorbereiten, Wäsche waschen, Kochen, einkaufen, da wäre ich gerne wieder in Bali, einfach an der Straße essen, kurz Schule, Reisen. Ein bisschen mehr Urlaubsfeeling hatte ich dort doch schon. Meine Mutter sagt nur:"Du hast es dir so gewünscht, hehe.", und das habe ich wirklich, mir gefällt es auch, ein Unterschied ist es trotzdem.

Jetzt bin ich mittlerweile schon im zweiten Modul, das erste Semester ist schon fast vorüber und ich habe schon einige Tests geschrieben und Noten gesammelt. Die Bafög meldet sich nicht, GEZ aber schon, Versicherungen wollen meine Zahlen, in der Uni bin ich eine Nummer (1621068), das Konto nullt sich zu gerne

Mein neues altes "zu Hause": Das Erwachsen-sein in der Bürokratie Deutschland.